Die Lagerung
Hey Nick, wie lange kann ich Naturwein lagern?
Es gibt viele Parameter, die die Lagerfähigkeit von Wein auf der Flasche beeinflussen – letztlich aber muss jeder für sich eine Bauchentscheidung treffen. Ich möchte aber gerne auf die wichtigsten Faktoren eingehen, um euch die Entscheidung etwas zu erleichtern.
Grundsätzlich ist es interessant, sich zu überlegen, welchen Effekt eine Lagerung auf den Wein hat. Diese Frage kann zunächst rein chemisch betrachtet werden: Polyphenole und Tannine reifen aus, und es findet eine fein dosierte Oxidation des Weines statt.
Naturphilosophisch ließe sich ergänzen: Die Zeit in Fass oder Tank wird als Kindheit des Weines betrachtet, die Hefe als die Mutter des Weines. Bei der Abfüllung verlassen die Kinder als ausgewachsene Individuen die Kinderstube. Durch die fehlende Filtration werden die Kinder der Mutter nicht entrissen, sondern sanft entwöhnt. Je nach Charakter befinden sich Weine also zu unterschiedlichen Zeiten auf ihrem Höhepunkt.
Die wesentlichen Faktoren zur Beurteilung der Lagerfähigkeit finden sich zumeist auf der Flasche und in den Weinbeschreibungen:
Der Alkohol: Ein hoher Gehalt deutet auf eine späte Lese hin. Der Alkoholgeschmack kann beißend wirken, und der Wein insgesamt schwer und unelegant. Eine Flaschenlagerung – vor allem unter Kork – kann hier abrundend wirken. Außerdem ist durch einen hohen Alkoholgehalt eine bessere mikrobielle Stabilität gegeben, wodurch eine längere Flaschenlagerung unbesorgt möglich ist.
Die Hefe: Sie wirkt reduktiv, kann also vor übermässiger Oxidation schützen. Das kann für eine längere Lagerzeit sprechen. Allerdings hält die Hefe den Wein auch frisch, weshalb ich Weine mit hohem Hefetrub am Spannendsten finde, wenn man sie 1 bis 2 Jahre nach der Füllung öffnet, und den Wein ruhig auch über den Verlauf einer Woche beobachtet.
Zu Weinen im Anbruch haben wir einen separaten Artikel.
Die Vinifikation: Zumindest tendenziell kann man sagen, dass sich Weine mit Maischegärung oder langer Standzeit besser für eine lange Flaschenlagerung eignen, als direkt gepresste Weine, da bei letzteren Tannine und Polyphenole noch nicht vollständig ausgereift sein könnten.
Die Weinstilistik: Auch hier darf nicht verallgemeinert werden. Grundsätzlich gilt, dass fruchtig-sommerliche und leichte Weine eher früher getrunken werden sollten. Auch die meisten Pet Nats sind in den ersten 2 Jahren nach der Füllung am Schönsten zu trinken. Schaumweine mit zweiter Gärung wiederum profitieren oft von einer Flaschenlagerung.
Ob Rot oder Weiß – aus der Farbe lassen sich hingegen aufgrund der Diversität keine allgemeinen Schlüsse ziehen. Orangewein ist aufgrund der langen Maischegärung und -standzeit jedoch grundsätzlich prädestinierter für eine Flaschenlagerung. Auch hier ist die Entwicklung im Anbruch besonders spannend.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass komplexere, strukturbetonte, und alkoholische Weine sich eher für eine Flaschenlagerung eignen. Bereits nach 1 bis 2 Jahren wird man leichte Unterschiede wahrnehmen können, ob positive oder negative hängt von den Lagerbedingungen ab. Der Höhepunkt der Flaschenreife dürfte bei den meisten Naturweinen nach 5 Jahren – in Ausnahmen auch 10 – erreicht sein. Für eine erfolgreiche Lagerung benötigt es eine konstante Temperatur von höchstens 15, besser 10°C. Der Raum sollte dunkel und trocken sein. Dann aber gilt: Naturweine sind genauso gut lagerbar, wie konventionelle. Bei sauberer Arbeit im Weinberg und Keller braucht es keinen Schwefel.
Aber davon abgesehen: Jeder Wein kann natürlich auch einfach direkt genossen werden.
Nick Hanel